Vier Celli
Stefan Streich

 

Model: Lexa Streich

 

English below

Stefan Streich
Vier Celli
Konzertante Filme (2004/2023)

 

Vier Celli ist eine konzertante Musik-Film-Installation, die gleichzeitig verschiedene Räume öffnet: Konzertsaal, Galerie, Kino. In der Verschränkung dieser sonst voneinander getrennten öffentlichen Erlebnisräume werden ihre jeweiligen zeitlichen, visuellen und räumlich-körperlichen Eigenheiten präzisiert und potenziert. Vier einzelne, im Quadrat gehängte, ca. 3 m hohe Leinwände bilden einen Raum im Raum, den das Publikum durch die offenen Ecken betreten kann. Zu sehen und über Lautsprecher zu hören sind vier überlebensgroß projizierte und synchron spielende Cellistinnen und Cellisten. Im Spiel und in der stummen Aktion entsteht ein skulpturales Filmkonzert

 

Klang und Stille, bewegte und unbewegte Bilder sowie die räumliche Anordnung der vier abstrahierten Bühnenräumen auf den Leinwänden versetzen das Publikum gleichzeitig in einen Konzertsaal, in eine Galerie und ins Kino.

 

In der Verschränkung dieser drei öffentlichen, üblicherweise voneinander getrennten Erlebnisräume präzisieren und potenzieren sich Ihre jeweiligen zeitlichen, visuellen und räumlich-körperlichen Eigenheiten. Zusätzlich verstärkt die architektonische Dimension des Aufbaus die mediale Präsenz: In dem verhältnismäßig kleinen Raum im Raum, den die großen Leinwände schaffen, rücken der Lautsprecherklang und die überlebensgroßen Filmbilder nahe an das Publikum heran und erzeugen eine große physische Gesamtpräsenz von Klang und Bild.

 

Musikalisch beschreibt Vier Celli den Prozess einer fortlaufende Abwärtsbewegung der Tonhöhen, manchmal deutlich linearer, manchmal in Wellenbewegungen oder Brüchen. Dieser Verlauf schreibt sich ein in die Abfolge von statischen, objekthaften Abschnitten, die einzelne, relativ geschlossene musikalische Gebilde artikulieren.

 

Alle Spielbewegungen der Musiker:innen haben neben ihren klanglichen Ergebnissen auch eine klare choreographische Funktion. Sie sind die visuelle „Spielhandlung“ der Filme. Lange Generalpausen zwischen den Abschnitten verwandeln die bewegten Filme in photographieähnliche Objekte. Von den großen Leinwänden herab blicken die Cellist:innen als lebende Portraits die Zuschauer:innen stumm und unbewegt von allen Seiten aus direkt an. Prozess und Statik heben sich in Ihrer Gleichzeitigkeit tendenziell auf.

 

Der Antrieb für das Projekt Vier Celli war und ist es, aus dem Ineinandergreifen der medialen, sozialen und energetischen Bedingungen neue künstlerische Formen, Inhalte und damit Erlebnis- und Denkräume zu schaffen. Alle Komponenten – die Komposition, die Filmkonzeption und Rauminstallation – sind darauf ausgerichtet.

 

Die Musik-Film-Installation Vier Celli entstand 2004. Ohne eigenes Zutun machten die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre den Aspekt der medialen Verknüpfung zu einem immer gewichtigeren Teil dieser Arbeit. Begriffe und Inhalte wie „Öffentlichkeit“ und „Privatsphäre“, „Individualität“ und „kollektives Erleben“, „soziale Teilhabe“ und „Vereinzelung“, „Kommunikation“ und „Digitalisierung“ haben in der Zwischenzeit enorme Veränderungen erfahren.

 

Vor allem die Entstehung und rasant wachsende Bedeutung sog. sozialer Medien und die damit einhergehende Bedeutung und Koppelung von Selbstverortung und Selbstinszenierung lassen die künstlerischen und gesellschaftlichen Räume, die Vier Celli thematisiert, mehr denn je relevant erscheinen.

 

Nicht die Kommentierung der medialen und gesellschaftlichen Zustände und der digitalen Entwicklungen ist Ziel der Arbeit. Unter Einbeziehung dessen, was Kunst und Öffentlichkeit heute ist oder sein kann und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ging es damals und geht es heute um die Schaffung eines autonomen, sensiblen und sensibilisierenden künstlerischen Raums, in dem die Materialien und Konnotationen vielschichtig auf einander bezogen sind.

 

Die gebündelten Medien zeigen ihre Eigenheiten, Gemeinsamkeiten und ihre gegenseitige Bedingtheit. Der Umgang mit den konkreten Materialien Klang, Bild und Raum ist gleichermaßen behutsam wie monumental. Vier Celli ist nicht nur gleichzeitig eine konzertante Ausstellung, ein installierter Film, ein Konzert der Handlungen oder eine Klangskulptur. Im Idealfall ist es ein neuer Raum dazwischen.

 

Vier Celli dauert 55 Minunten.

 

Mein besonderer Dank gilt Malte Giesen, dem Leiter des elektronischen Studios der Akademie der Künste Berlin. Durch seine tatkräftige Unterstützung konnte das Stück nun nach 20 Jahren endlich realisiert und uraufgeführt werden.

Stefan Streich, April 2024

 

 

 

 

Stefan Streich
Vier Celli (Four Cellos)
Concertante films (2004/2023)

 

Vier Celli is a concertante music-film installation. The work consists of four individual, approximately 3 m high screens hung in a square. This room within a room can be entered by the audience through the open corners. Four cellists, projected larger than life and playing in synchronization, can be seen and heard via loudspeakers. A sculptural film concert is created through their playing and silent actions.

 

Sound and silence, moving and still images and the spatial arrangement of the four abstract stage spaces on the screens simultaneously transport the audience into a concert hall, a gallery and a cinema.

 

In the interweaving of these three public, usually separate experiential spaces, their respective temporal, visual and spatial-physical characteristics become more precise and potentiated. In addition, the architectural dimension of the structure reinforces the media presence: in the relatively small space within the space created by the large screens, the loudspeaker sound and the larger-than-life film images move close to the audience and create a large overall physical presence of sound and image.

 

Musically, Vier Celli describes the process of a continuous downward movement of pitches, sometimes clearly linear, sometimes in waves or breaks. This progression is inscribed in the sequence of static, object-like sections that articulate individual, relatively self-contained musical entities.

 

All of the musicians' playing movements have a clear choreographic function in addition to their sonic results. They are the visual “plot” of the films. Long general pauses between the sections transform the moving films into photographic-like objects. The cellists look down from the large screens as living portraits, silently and motionlessly looking directly at the audience from all sides. Process and statics tend to cancel each other out in their simultaneity.

 

The impetus for the Vier Celli project was and is to create new artistic forms, content and thus spaces for experience and thought from the intermeshing of media, social and energetic conditions. All components - the composition, the film concept and the spatial installation - are geared towards this.

 

The music-film installation Vier Celli was created in 2004. Through no fault of their own, the social and technical developments of the last 20 years have made the aspect of media links an increasingly important part of this work. Terms and content such as ‘public’ and ‘private’, ‘individuality’ and ‘collective experience’, ‘social participation’ and ‘isolation’, ‘communication’ and ‘digitalisation’ have undergone enormous changes in the meantime.

 

Above all, the emergence and rapidly growing importance of so-called social media and the associated significance and coupling of self-positioning and self-presentation make the artistic and social spaces that Vier Celli thematises appear more relevant than ever.

 

The aim of the work is not to comment on media and social conditions and digital developments. Taking into account what art and the public sphere are or can be today and how they relate to each other, the aim then and now is to create an autonomous, sensitive and sensitising artistic space in which the materials and connotations are related to each other in many different ways.

 

The bundled media show their peculiarities, similarities and their mutual conditionality. The handling of the concrete materials of sound, image and space is both cautious and monumental. Vier Celli is not only a concert exhibition, an installed film, a concert of actions or a sound sculpture. Ideally, it is a new space in between.

 

Vier Celli lasts 55 minutes.

 

My special thanks go to Malte Giesen, head of the electronic studio at the Akademie der Künste Berlin. Thanks to his active support, the piece could finally be realised and premiered after 20 years.

Stefan Streich, April 2024